Thielemann dirigiert Capriccio in Salzburg

Die Frage ist schon die Antwort

Christian Thielemann mit „Capriccio“ von Richard Strauss in konzertanter Version bei den Salzburger Festspielen – ein Sängerfest

Von Joachim Lange

(Salzburg, August 2024) Das (sehr überschaubare) Risiko bei der ersten Opernproduktion des laufenden Salzburger Festspielsommers war nicht die Regie, sondern deren Abwesenheit. Kann sein, dass es ein Zugeständnis an einen extravaganten Dirigenten war.

Wenn man aber das Große Festspielhaus nach der konzertanten Aufführung von Richard Strauss’ „Capriccio“ verlässt, hat man schon so einen Abend erlebt, von dessen Glücksmomenten Nicht-Strauss-Verehrer oder gar -Verächter nicht mal etwas ahnen können.

Natürlich kann man auch diese Konversationsoper inszenieren – Willy Decker in Amsterdam oder Robert Carsen in Paris 2004, auch David Marton in Lyon 2013 sind als geglückte Beispiele in Erinnerung geblieben. Auch die 2021 durch Corona eingeschränkte Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in Dresden. Letztere auch mit Christian Thielemann am Pult, was die Frage nach der szenischen Umsetzung für die Hardcore-Gemeinde der Strauss-Anhänger per se zweitrangig machte.

Allerdings geht es in dem Falle des 1942 (!) uraufgeführten „Konversationstückes für Musik in einem Aufzug“ eben auch ganz gut ohne. Noch dazu, wenn es musikalisch so luxuriös ausgestattet ist, wie jetzt zum Auftakt der Salzburger Festspiele.

Christian Thielemann, der ja nicht mehr mit der Sächsischen Staatskapelle, also dem exemplarischen Strauss-Orchester, verheiratet ist, schafft es spielend im Großen Festspielhaus, auch aus den Wiener Philharmonikern jenen delikaten Strauss-Klang hervorzuzaubern, den die Liebhaber wie eine Gralsenthüllung aufsaugen.

Dazu eine Besetzung vom Feinsten: Angeführt von Elsa Dreisig als jener Gräfin, die sich im Herzen nicht so recht zwischen Dichter und Komponisten entscheiden kann. Das Werben der beiden Männer um sie, ist ja nichts anderes als die Personifizierung der in dem Stück ausführlich diskutierten Frage nach dem Primat von Musik oder Wort. Prima la musica – dopo le parole! oder eben vice versa.

Bo Skovhus ist der Bruder an ihrer Seite, der für Oper wenig, aber für die Damen des Schauspiels sehr viel übrig hat. Die pointiert mondän auftrumpfende Ève-Maud Hubeaux stattet den Auftritt von Schauspielerin Clairon mit einer passenden Dosis Diva-Attitüde aus. Die Kontrahenten in der Grundsatzdebatte über das Gewicht von Dichtung oder Komposition sind der geschmeidige Sebastian Kohlhepp als der Musiker Flamand und der markante Konstantin Krimmel als der Dichter Olivier.

Eine grandiose Rolle (als vermittelnder Praktiker im theoretischen Streit und als Bariton in der Oper) kommt dem Theaterdirektor La Roche zu, den der gerade eben noch in Bayreuth als Hagen zu erlebende Mika Kares mit aller gebotenen Erdverbundenheit ausstattet. Auch die kleineren Rollen im Stück, deren Interpreten die eine oder andere Pointe beisteuern, sind sorgfältig besetzt. Der vergessene Souffleur Monsieur Taupe mit Jörg Schneider, der Haushofmeister mit Torben Jürgens, das italienische Sängerpaar mit Tuuli Takala und Josh Lovell. Es macht einfach Spaß, ihnen allen zuzuhören und zuzusehen.

Wobei es hier eh auf das Zuhören ankommt. Dabei fällt auf, dass der Text zu dem Clemens Krauss und der Komponist selbst das Libretto verfasst haben, nicht nur hintergründig Grundsätzliches, sondern immer wieder auch witzige Pointen enthält, die ziemlich frisch wirken. Schon das selbstreferenzielle Wortspiel mit der Oper, die man schreiben sollte, in der man aber schon ist, oder die direkten Verweise auf andere Strauss-Opern machen Spaß.

„Capriccio“ ist eben – weiter gefasst – auch ein Diskurs des Musiktheaters über sich selbst; ein selbstbezogenes, der Zeit seiner Entstehung völlig entrückt scheinendes Schlusswort von Richard Strauss in Sachen Oper und alles andere als ein mitreißender Repertoire-Renner des Bajuwaren. Aber es wird altersweise aufgefächerte Meisterschaft zuhauf geboten. Vom Kammerkonzert, über Lied und Selbstzitat bis hin zum ausgefeilten musikalisch originären Konversationston oder einem großen opernhaften Aufrauschen. Insofern passte „Capriccio“ als Auftakt eines Opernprogramms, das die aufgeworfene Frage immer aufs Neue verhandelt.

 

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