Goerne und Hinterhäuser mit Schostakowitsch und Mahler

Keine Hoffnung nirgends

Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser offerieren einen pechschwarzen Liederabend bei den Salzburger Festspielen

Von Robert Jungwirth

(Salzburg, 4. August 2024) Es ist ein Phänomen, dass ausgerechnet im hedonistischen Salzburg ein Theaterstück so überaus erfolgreich ist, das den Fall eines reichen Geizhalses und Lebemanns schildert – und das alljährlich seit etwa 100 Jahren. Man könnte dies als einen Akt säkularen Katholizismus‘ ansehen. So wie die Katholiken zum Beichten gehen und dann wieder losprassen und losgeizen, so holt man sich eben auch beim „Jedermann“ die Absolution für seine übers Jahr hin gepflegten menschlichen Unzulänglichkeiten. Einmal im Jahr geht man zur „Theater-Beichte“ auf den Domplatz und zieht danach für 5 Minuten geläutert von dannen.

Dabei wollte es Intendant Markus Hinterhäuser nicht belassen. Er legte jetzt mit einem De-profundis -Liederabend nach, der es in sich hatte und den Besuchern die Bitternis des menschlichen Lebens und Leidens dermaßen um die Ohren haute, dass man sich danach nicht einfach mit einem Glas Sekt wieder mit den lustigen Seiten des Lebens befassen konnte.

Gustav Mahler, ohnehin nicht gerade auf der heiteren Seite des Lebens angesiedelt, schrieb Lieder, die die Jammertal-Thematik der irdischen Existenz auf die Spitze treiben. Sie waren Teil des Programms des Liederabends mit dem Urgestein der Salzburger Festspiele Matthias Goerne im Haus für Mozart. Doch damit nicht genug. Hinterhäuser und Goerne koppelten die Mahler-Lieder mit Liedern von Dmitri Schostakowitsch, die dieser etwa ein Jahr vor seinem Tod mit größtmöglicher Bitternis schrieb nach Texten von Michelangelo Buonarotti (ja der Michelangelo). „Sogar die Liebeslieder klingen darin wie Monologe eines Eremiten, wie Psalmodien in menschenleerer Wüste, letzte Grüße aus einem Zwischenreich, am Übergang zum Tod“, heißt es ohne Übertreibung im Programmheft.

Selbst das Mahler-Lied „Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“ endet trauerverhangen – keine Freude nirgends. Einen solch bitteren Liederabend hat man noch nicht erlebt, wobei Schostakowitsch in kürzelhafter Drastik das fortzuführen scheint, was Mahler begonnen hat. Hinterhäuser und Goerne malen das mit pechschwarzen Farben an die imaginären Wände des Hauses für Mozart, 50 shades of black könnte man sagen. Bei Schostakowitsch wuchtet Hinterhäuser die drastischen musikalischen Splitter wie Folternadeln in den Flügel.

Goernes Stimme ist noch immer hervorragend geführt, flexibel und ausdrucksstark, nur in der Tiefe wird es ein wenig gaumig. Der Trübsal tat dies keinen Abbruch und der Heftigkeit des Schmerzes, der immer wieder hervorbricht ebenso wenig – im Gegenteil. Es geht um Trennung, Liebe, Tod oder die Tragik des Soldatenlebens, wie Mahler sie in „Zu Straßburg auf der Schanz“ komponiert hat. Nichts hat sich bis heute daran geändert. Das Publikum bejubelte die Bitternis in Tönen lautstark – auch das ein Phänomen dieser Festspiele. Den après-concert-Sekt ließen diesmal aber wohl doch einige ausfallen…

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert