Eindrücke von den diesjährigen Händelfestspielen in Halle

Eifersuchtskoloraturen in Pixel-Räumen

Eindrücke von den diesjährigen Händelfestspielen in Halle – die Oper Amadigi di Gaula, Magdalena Kozena und Jos van Immerseel

Von Robert Jungwirth

(Halle, 1.-3. Juni 2024) Zauberinnen und Zauberer nutzen heutzutage natürlich auch digitale Techniken für ihre Zaubereien, womöglich sogar KI-gestützt. Das macht auch Melissa in Georg Friedrich Händels Oper „Amadigi di Gaula“ so. Erstaunlich, dass sie für ihre paar Zaubertricks ein ganzes Rechenzentrum braucht. Es nimmt den gesamten Bühnenraum der Oper Halle ein. Da blinkt und leuchtet es wie im Headquarter von Facebook oder Apple und es zieht sich unendlich weit in den Untergrund hinunter. Wer weiß, was diese Dame noch so alles treibt und manipuliert mit ihren digitalen Zauberkräften. Am vordringlichsten jedenfalls scheint ihr die Störung der Liebesbeziehung zwischen Amadigi und seiner Braut Oriana zu sein. Denn Melissa selbst liebt ebenfalls Amadigi und möchte ihn gerne von Oriana entlieben. Deshalb konstruiert sie Avatare von Amadigi und seinem Kumpanen Dardano und setzt die Doubles so ein, damit das Liebespaar von der Untreue des jeweils anderen überzeugt ist. So was von gemein.

Die Idee der Regisseurin und Co-Intendantin der Oper Halle Louisa Proske, die Geschichte von Händels „Amadigi di Gaula“ in die Cyber-Welt zu verlegen ist sogar relativ naheliegend, wenn man verfolgt wie massiv Zuckerberg und Co. in die Entwicklung dieser künstlichen Welten investieren. Und Bühnenbildner Kaspar Glarner hat zusammen mit dem Videodesigner Jorge Cousineau dafür ein recht eindrucksvolles und realistisches Rechenzentrum mit künstlichen Pixel-Räumen gestaltet. Warum er die Figuren aber in Barockkostüme steckt, bleibt sein Geheimnis. Cousineau kann sogar Personen herbeamen. So lässt er Dardano wie weiland im Raumschiff Enterprise aus flimmernden Lichtteilchen erscheinen – und das, obwohl der schon das Zeitliche gesegnet hat (bei Händel tritt er schlicht als Geist auf). Zu diesem Zeitpunkt der Handlung hat es Melissa mit ihrer Cyber-Intrige schon zu weit getrieben und damit nicht nur bei Amadigi und Oriana auf Granit gebissen, sondern auch die Götterwelt gegen sich aufgebracht. Der arme Dardano musste als Kollateralopfer leider sterben. Melissa hat überreizt und muss sich geschlagen geben, sprich sich selbst entleiben. Wie so häufig in der Barockoper wird die Wendung zum Guten auch in dieser frühen Oper Händels durch einen göttlichen Boten – deus ex machina genannt – eingeleitet. Proske lässt dafür die Statue von Händel am Markt von Halle auf die Bühne schweben – im Händelstatuenkostüm steckt eine Sängerin, die dann die versöhnenden Worte zum Happy End singt.

Wenn man von der Cyber-Idee absieht halten sich die Ideen der Regie doch in überschaubaren Grenzen. Es ist ja leider nicht so selten, dass Regisseur*innen gerne einem starken Bühnenbild vertrauen und sich dann einen schlanken Fuß machen, und auf weitere Ideen zur Interpretation und Personenregie eher verzichten. Hier gibt es immerhin ein paar Balletteinlagen (Michal Sedlacek) mit lederbehosten Unterweltsgeistern aus Melissas Entourage (unverpixelt).

Die vier Protagonisten dieser Produktion der Oper Halle für die diesjährigen Händelfestspiele jedenfalls bringen erfreulicherweise von sich aus so viel Bühnenpräsenz mit neben ihren gesanglichen Spitzenleistungen. Der Countertenor Rafal Tomkiewicz in der Titelrolle singt seine halsbrecherischen Koloraturen mit faszinierender Leichtigkeit und einem geradezu samtigen Timbre. Und wenn die Zorneswogen der Eifersucht ihn schütteln werden sie zu Tonpfeilen – ganz fantastisch in seiner großen Arie im zweiten Akt, in der er zwischen Liebesannäherung und giftiger Eifersucht hin und herpendeln muss. Auch seine Angebetete Oriana wird von Serafina Starke mit jugendlichem Stimmklang seraphisch schön gesungen – wenn man den Ausdruck gebrauchen möchte, aber er passt wirklich. Franziska Krötenheerdt ist eine virtuose bis angsteinflößende Zauberin und Yulia Sokolik ein prägnanter Dardano, dem man die Loser-Rolle nicht anhört.
Am Pult des Festspielorchesters und am Cembalo hält Dani Espasa souverän die musikalischen Fäden zusammen, lässt ebenso pointiert wie klangschön musizieren und zeigt, dass Händel nicht immer nur aufgeraut-aufgekratzt klingen muss, um „authentisch“ zu sein.

Festkonzert Magdalena Kozena Händel-Festspiele 2024 © Thomas Ziegler

Auch in Händels Oper „Alcina“ geht es um eine schwerverliebte Zauberin, die erfolglos bleibt mit ihren Liebeszaubereien, um den jungen Ritter Rugero zu bezirzen, resp. zu bezwingen. Nicht als Oper, sondern als Arienabend waren Arien der Alcina bei den Festspielen zu hören – mit keiner geringeren als Magdalena Kozena, die bei dem Festival schon mehrfach zu Gast war. Zusammen mit dem fantastischen Barockorchester La Cetra unter der Leitung von Andrea Marcon schaffte sie es auch ohne Bühne Liebe, Wut, Rache und Verzweiflung durch ihre perfekt geführte, wandelbare und hoch-expressive Stimme nicht nur musikalisch, sondern geradezu auch optisch zu transportieren, indem sie einen ganzen Reigen an Bildern evozierte. Etwa von der Liebesschmerzensreichen in der Arie „Si, son quella, non piu bella“, in der sich ätherisch eine Seele aussingt, um dann in „Ah, mio cor! Schernito sei!“ („Ach, mein Herz! Du bist verhöhnt“) Zornestiraden über die Hörer zu ergießen, die vom Orchester mit scharfen Akzenten unterstützt wurden. Spielend füllte Madgalena Kozena die Konzerthalle Ulrichskirche – manchmal vielleicht sogar ein wenig zu sehr autrumpfend. Im Verleich zu „Amadigi“ ließ sich auch die Entwicklung bemerken, die Händel im Lauf seiner Karriere nahm: die Affekte sind ausdifferenzierter, die emotionalen Kontraste noch wirkungsvoller. Aber auch die „Alcina“ von 1735 markierte einen Wendepunkt in Händels Leben: Es war sein letzter großer Opernerfolg in London.

Jos van Immerseel Foto: KlassikInfo

Der Untertitel des diesjährigen Festivals lautet „Französische Inspirationen“, wobei das ein wenig hoch gehängt erscheint, denn die Inspirationen holte sich Händel bekanntlich vor allem aus Italien, wo er sozusagen auch in die Lehre gegangen ist. In Frankreich sei Händel wohl noch nicht einmal gewesen, erzählte Jos van Immerseel bei seinem Auftritt mit Cembalo -Suiten. Mit Werken von Händel und drei französischen Komponisten bot er aber einen Programmpunkt, der dem Titel tatsächlich gerecht wurden. Vor der Pause stellte er Händel Couperin gegenüber, was überaus sinnvoll ist, denn die Suiten des 20 Jahre älteren Franzosen waren Händel sicher bekannt und dienten ihm wohl auch als Inspiration für seine eigenen Suiten. Immerseel, der eine große Sammlung an Cembali besitzt, spielte im Kammermusiksaal des Händel-Hauses auf einem wunderbar klingenden Instrument aus der Werkstatt von M. Scheer & M. Vogel.

Während sich die Suiten Händels durch einen gewissen opernhaften, gesanglichen Gestus auszeichnen wirken jene von Couperin instrumentaler, schnörkelreicher, auch galanter – höfischer. Immerhin war Couperin Komponist und Cembalist am Hof Ludwig IV.
Eine Entdeckung aber waren die Suiten der kaum bekannten Komponisten Antoine Forqueray und Jacques Duphly, die ein wenig später entstanden sind und eine weiterentwickelte Art fürs Cembalo zu schreiben vorstellen. Forqueray, der eigentlich Gambist war, gestaltete einige seiner Gamben-Stücke zu Cembalowerken um. Dabei gab er sich äußerst virtuos und auch harmonisch kühn. Unterstützt wurde er dabei, wie Immerseel erzählte, von seiner Frau, die eine sehr begabte Cembalistin war. Womöglich war sie sogar die Verfasserin, nur durfte sie damals nicht als solche in Erscheinung treten. Nicht minder interessant waren die Stücke von Duphly aus dessen Pieces de Clavecin in ihrer reichen Ausdrucksvielfalt und ihren artikulatorischen Finessen. Immerseel stellte eine Art wohlartikuliertes Klavier vor – mit zuweilen ein wenig abrupten Wendungen und Endungen. Nachhören kann man seine Entdeckungen auf mehreren CDs.
Die diesjährigen Händelfestspiele dauern noch bis zum 9. Juni an.

Halle ist eine Reise wert

Die größte Stadt Sachsen-Anhalts (rund 240.000 Einwohner) und Geburtsstadt Georg Friedrich Händels bietet neben den traditionsreichen Händelfestspielen einige lohnende Sehenswürdigkeiten. Das ist zum Beispiel das große Kunstmuseum in der Moritzburg, das zahlreiche bedeutende Werke aus Expressionismus, Bauhaus und Neue Sachlichkeit sowie Moderne Malerei der DDR zeigt. Daneben auch die berühmten Bilder, die Lyonel Feininger in seiner Zeit in Halle gemalt hat und die geradezu ikonographisch wurden wie die Bilder vom Dom und der Marienkirche.

Sehenswert ist auch die erstaunlich gut erhaltene und hervorragend renovierte Innenstadt, die noch so wirkt als befinde man sich in den 10er oder 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Hier könnte man einen historischen Film aus dieser Zeit drehen. Ein paar hundert Meter weiter erstreckt sich eine imposante Villengegend – die meisten ebenfalls minder eindrucksvoll renoviert – mit Bauten aus Historismus, Jugendstil und Bauhaus, durchbrochen immer wieder von Fachwerkhäusern.

Und dann bietet die Stadt schöne Parks und Grünflächen entlang der Saale, die zum Spazierengehen oder Wandern einladen.
Weitere Infos unter: halle-touristinformation.de

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