Die Sache Makropulos an der Oper Lyon

Der (Alp-)Traum von der ewigen Jugend

Richard Brunel inszeniert an der Opera national de Lyon Leoš Janáčeks „L’ Affaire Makropoulos“ – mit einer überragenden Aušrinė Stundytė in der Hauptrolle

Von Joachim Lange

(Lyon, 18. Juni 2024) Während des jüngsten Plakate- und Fernsehspot-Wahlkampfs zum Europaparlament fiel eine Partei durch besonders exzentrische Realitätsferne auf. Da wurde allen Ernstes (oder auch nicht) einer „Schulmedizinischen Verjüngungsforschung“ das Wort geredet, die das Leben von Individuen unserer Spezies auf 800 Jahre verlängern sollte. Der TV -Werbespot dazu hatte Züge einer dystopischen Opernszene. Mit ein wenig Kenntnis des gängigen Werkekanons hätten sich die Verfasser ein Bild davon machen können, was passiert, wenn ein Leben auf (vergleichsweise bescheidene) 337 Jahre verlängert wird. Und zwar so, dass die Betroffene höchstens zwanzig Jahre altert, tatsächlich unter der Klischeemarke von 39 Jahren bleibt und dem Vollbesitz ihrer weiblichen Reize und Ausstrahlung noch ein gehöriges Maß an beruflicher Professionalität und Erfahrung als Sängerin hinzufügt.

Was der große Mähre Leoš Janáčeks aus der Geschichte von Karl Capek gemacht und 1926 in Brünn als „Vec Makropulos“ zur Uraufführung gebracht hat, ist ein packend bissiger Kommentar zum Traum von der ewigen Jugend. Der ist in Wahrheit ein Alptraum, ja ein Fluch. Gesungen wird natürlich auch in Lyon auf Tschechisch, aber der Titel dieser auf einen Star zugeschnittenen Oper heisst hier „L’Affaire Makropoulos“. Es ist eine Affäre mit der Zeit (und den Risiken und Nebenwirkungen wenn sie von menschlicher Hybris ausgetrickst werden sollI), die die Titelheldin gleichen Namens durchleidet. Wobei das hier mit den Namen so eine Sache ist, denn die Emilia, der wir in einer Prager Anwaltskanzlei der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts begegnen, heißt zwar eigentlich Makropulos mit Familiennamen. Aber der wurde vor 337 Jahren beurkundet und da kommen historisch-bürokratische Gewissheiten schon mal ins Schwimmen.

Der Hausherr der Opera national de Lyon Richard Brunel hat das im Grunde auch so inszeniert. Im Zentrum steht eine selbstbewusste Künstlerin, die bewundert wird, sich aber längst alle Verehrer vom Leibe hält, die Blumensträuße weiterreicht, wie es heute Musikern und Politikern zur Gewohnheit geworden ist. Sie macht das wegen ihrer Erfahrungen die sie in ihrem (über)langen Leben gesammelt hat. Denn sie ist – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag – auch ein weibliches Opfer männlicher Begierden. Vordergründig vor allem als das Versuchskaninchen, des Kaisers Rudolf II., der bei ihrem Vater einst das (Über-)Lebenselixier in Auftrag gegeben hat, und es dann doch lieber erstmal an dessen Tochter ausprobieren wollte.

Bei ihr wirkte es so, dass sie in den 337 Jahren seit ihrer Geburt bzw. nach der Einnahme des Mittels nur ein wenig alterte. Und sich als Operndiva in verschiedenen Ländern mit wechselnden Namen durchschlug. Sie behielt nur die Initialen E.M. bei. Von Elina Makropulos über Ellian MacGregor, Eugenia Montez oder eben am Ende Emilia Marty.

Auf der horizontal zweigeteilten Bühne von Ausstatter Bruno de Lavenère finden sich die dunkelgetäfelte Anwaltskanzlei, der Schminktisch in der Künstlergarderobe, die Bühne für ihre Auftritte als Liedsängerin mit Klavierbegleitung in wechselnden Positionierungen wieder. Mitunter bewegen sie sich einfach. Die Ebenen verbindet ein fahrbarer Treppenturm. Immer wieder tauchen vor Emilias Augen und für uns sichtbar fünf Männer aus ihrer Vergangenheit auf, die inzwischen alle irgendwie nach ihrem Altverehrer Hauk-Sendorf (Marcel Beekman) aussehen. Und die wohl mehr oder weniger für die Narben, von denen sie einmal spricht, und für die Kälte verantwortlich sind, mit der sie heute diversen Avancen begegnet. Was vor allem Jaroslav Prus zu spüren bekommt, als er ihr eine Liebesnacht abpresst, was Tómas Tómasson darstellerisch und vokal beglaubigt.

Die litauischen Sopranistin Aušrinė Stundytė ist der Star des Abends. Im Stück als Emilia sowieso und auf der Bühne als die charismatische Sängerdarstellerin. Sie fügt sich in eine Reihe von großartigen E.M. Darstellerinnen, die von Anja Silja angeführt wird, die hier den Maßstab vorgab, an dem immer noch gemessen wird. Für Stundytė ist das kein Problem.

Sie überragt (ebenfalls im doppelten Wortsinn) das vor allem männliche Protagonistenensemble um sie herum deutlich. Die Krista ist bei Thandiswa Mpongwana vom Lyoner Opernstudio zwar in einer sicheren Kehle, erhält aber nur wenig Raum, um die Figur der jungen Verehrerin Emilias wirklich zu profilieren. Auch Robert Lewis ist eigener Opernnachwuchs und bewältig seinen schmachtenden, und sich dann erhängenden Janek bemerkenswert solide.

Emilia Marty ist hier eine selbstbewusste und attraktive Frau, bei der sich das Nachlassen des Elixiers, nicht in einem einsetzenden Alterungsprozess, sondern (schon im Vorspiel und dann immer wieder wie ein szenisches Leitmotiv) in plötzlichen Anfällen äußert, die ihr die Stimme rauben und sie zu Boden werfen.

Dirigent Alexander Joel macht immer wieder die Aufgeregtheit dieser Grenzsituation deutlich. Für Aušrinė Stundytė ist das genau richtig, für die Männer eine Herausforderung. Bassbariton Károly Szemerédy als angemessener Kolenanty und Paul Curievici als Vitek komplettieren solide ein vorwiegend männliches Protagonistenensemble zwischen dem Stundytė so richtig strahlen kann. Nur Denys Pivnitskyis ruft seinem Albert Gregor trotz einer Überdosis Kraftanstrengung nur hinterher.

Am Ende wirft Emilia das heiß begehrte Dokument mit dem Lebenselexier in das Feuer, das aus dem Klavier lodert. Ein beeindruckend Schlussbild für den Abend einer Diva. Ganz gleich wie alt sie wirklich ist.

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