Orff und die Moderne – Konzert im Münchner Orff-Zentrum
Farben und Formen
Carl Orff und die Moderne – ein spannender Konzertabend im Münchner Orff-Zentrum mit dem Ensemble risonanze erranti
Von Robert Jungwirth
(München, 30. Oktober 2024) Auf dem Weg zu seinem unverwechselbaren Personalstil fand Carl Orff Anregungen nicht nur in der Musik seiner Zeit – etwa bei Strawinsky, Schönberg oder Debussy – er blickte auch zurück in der Musikgeschichte. So bearbeitete er Werke von Claudio Monteverdi oder Lieder des Mittelalters. Das Münchner Ensemble risonanze erranti unter seinem Leiter Peter Tilling stellte jetzt im Münchner Orff-Zentrum die „Zehn Cantus-Firmus-Sätze alter Melodien“ vor, die Orff 1929 „umkomponiert“ hat – nicht radikal, aber doch mit Vergnügen an ungewöhnlichen Klangkombinationen und Harmonien. Dabei steht es den Interpreten frei, ob man die Sätze nun mit Singstimmen oder Instrumenten aufführt.
Tilling hat die Sätze für sein Ensemble arrangiert und dabei außergewöhnliche Klangeffekte und -farben hervorgezaubert. Auch Orffs Violenkanon, mit dem sein letztes Musiktheaterwerk „De temporum fine comoedia“ endet und der ebenfalls von Alter Musik inspiriert ist, stand auf dem Programm – wiederum stimmig und findig bearbeitet von Tilling.
Tilling, Dirigent, Ensembleleiter, Cellist und Komponist, stellte die Orff-Stücke in einen Kontext mit Musik unserer Zeit und einem Werk des weitgehend unbekannten Orff-Zeitgenossen Hans Jürgen von der Wense.
Der Schönberg-Schüler komponierte 1919 fünf Klavierstücke im ästhetischen Dunstkreis der Zweiten Wiener Schule – Tilling hat sie für sein Ensemble bearbeitet. Solchermaßen instrumentiert weisen die Stücke tatsächlich eine hörbare Nähe zur Musiksprache Alban Bergs auf, ohne dabei epigonal zu wirken. Im Gegenteil, hier hört man ein sehr eigenes musikalisches Talent, das es zu entdecken lohnt und von dem man sich mehr Musik gewünscht hätte. Allerdings hat sich von der Wense, der bis 1966 lebte, schon recht bald vom Komponieren abgewendet. Tilling demonstriert in dieser Bearbeitung erneut ein bemerkenswertes Stil- und Klanggefühl, indem er sich dem Charakter der Originalmusik behutsam annähert und sie gleichzeitig sehr originell transformiert.
In seiner eigenen Komposition „Fragment – Mirroring“ nach Motiven eines Werks des italienischen Renaissance-Komponisten Giovanni Battista Riccio, die an diesem Abend ihre Uraufführung erlebte, geht Tilling über die Vorlage sehr viel weiter hinaus. Es ist tatsächlich keine Bearbeitung mehr, sondern ein eigenständiges Werk, bei dem man das Ursprungswerk – so man es nicht kennt – auch nicht mehr wirklich hört. Eine Übermalung mit kräftigen Farben, interruptiv bis perkussiv. Vor allem aber der langsamere zweite Teil überzeugte mit seinen dunklen Holzbläserstimmen und interessanten harmonischen Wendungen. Ähnlich ging Tilling auch vor in seinem Stück „Ein Schatten, schwebend“ nach einer Klavier-Elegie von Richard Wagner vor, entstanden 2018 – ebenfalls für Ensemble.
Auch noch eine Stimme der etwas jüngeren Komponistengeneration war an diesem Abend zu hören mit dem Werk „Verwachsen“ aus ihrer Suite für Ensemble von 2020: die 1981 geborenen Birke J. Bertelsmeier. Das kanonhafte Werk schloss sich sehr gut an Orffs Violenkanon an, offerierte düster-dräuende Sonorität, die an Arvo Pärt erinnerte. Das Ensemble risonanze erranti jedenfalls bewegte sich in allen klanglichen Idiomen mit großer stilistischer Sicherheit und Klangsensibilität – ein spannender Abend!
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