Der Cembalist Jean Rondeaus begeistert in Innsbruck

Kosmos des Cembalos

Jean Rondeaus experimentelles Recital bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

Von Elisabeth Richter

(Innsbruck, 8. August 2024) Ein zarter, hoher, kaum hörbarer Ton hallt durch den Spanischen Saal von Schloss Ambras bei Innsbruck. Wie ein zaghaft blitzender Stern am Firmament. Lange, gefühlte lange Minuten hat sich Jean Rondeau konzentriert, sich in diesen wichtigen ersten Ton hineingedacht, bevor er ihn aus seinem Instrument zupfte. Schließlich soll er den Auftakt markieren zu circa siebzig Minuten ununterbrochener Cembalo-Musik, eine Spannung kreieren, die diesen Bogen hält. Sie wird halten. Aus den kosmischen Sphären des Alls scheint dieser Ton zu uns herunterzuschweben. Am Ende, nach einer guten Stunde, werden wir in den irdischen Tiefen des Instruments angekommen sein, kurz zuvor mit Passagen, die eindeutig inspiriert sind – fast original – von der legendären g-Moll-Variation Nr. 25 aus Johann Sebastian Bachs „Goldberg Variationen“.

Ein Ton schwebt aus dem All

Der 33-jährige französische Cembalist Jean Rondeau – der mit der punkigen Zottelfrisur, die aber inzwischen gebändigt ist – hat für die diesjährigen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ein Experiment gewagt. Wie er am Schluss verriet: zum ersten Mal. „Dies ist kein Programm. Es ist eine musikalische Aufführung“ schreibt Rondeau im Programmheft. Er wolle nicht die Erwartungen seines Publikums – genau zu wissen, was von wem gespielt wird – hintergehen, sondern „ein musikalisches Anderes“ schaffen, „einen Moment der Hingabe, in dem die Erwartungen gegen die Überraschung … ausgetauscht werden.“ Eine Einladung, anders, instinktiver zuzuhören, solle es sein, so Rondeau, einmal das Gewohnte beiseitelassen, „um das aufmerksame Zuhören zu schärfen und die Nacktheit herauszukristallisieren, die wir vor dem Geheimnis der Musik empfinden.“

Jean Rondeau nimmt mit auf eine Reise durch die Musikgeschichte und zeigt auf faszinierende Weise die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments. Jede Sekunde ist ein Ereignis. Ein nicht abreißender Spannungsfaden wunderschön intensiv singender Cembalo-Töne, schwingender, tänzelnder oder präzis markierter Rhythmen. Eine Mischung aus bekannten, notierten Werken und Improvisation, eben nicht notierte Musik, die sich aus vertrauten und weniger vertrauten musikalischen Mosaiksteinen generiert. Melodien, Rhythmen, Harmonien.

Schwebt der erste Ton einmal im musikalischen All (von Schloss Ambras), leise in sphärischen Höhen, gesellen sich weitere vorsichtig hinzu. Quintklänge füllen sich. Mehr und mehr Töne bilden allmählich ein rauschendes Meer an Tönen. Noch scheinen wir gerade ein mittelalterliches Psalterium zu hören, da streift die Pilgerschaft die Renaissance und findet sich nach einigen Minuten mitten in archaischen Barock Johann Sebastian Bachs wieder. Die Harmonien aus dessen legendärer d-Moll Chaconne für Violine solo schweben ohnehin für alle Zeiten im musikalischen All. Jean Rondeau leiht sie sich fürs Tasteninstrument. Das ist ganz normal, Schumann, Brahms, Busoni und andere haben das auch getan.

Jean Rondeau leiht sich Harmonien, Rhythmus, Melodien

Händel klingt an, den französischen Clavecinisten erweist der Franzose Jean Rondeau natürlich seine Ehre. Immer schafft er nach virtuos-rauschenden, aber unglaublich sensibel gespielten Passagen Momente der Ruhe und Kontemplation. Kreiert so Aufmerksamkeit für das nächste „Reiseziel“. Die Übergänge gestaltet er sensibel. Geradezu behutsam nimmt Jean Rondeau sein Publikum gewissermaßen an die Hand und lässt staunen, wie sich die Musikgeschichte weiterentwickelt hat, bis zu Jazz, Minimalmusic und weiter. Jazzige Rhythmus gibt es in der Cembalo-Musik ohnehin, da korrespondieren die Jahrhunderte.

Von himmlischen Höhen zu irdischen Tiefen

Jean Rondeau tut der Musik nie Gewalt an, oder schockt durch unverständlichen Kontrast. So empfindet man die harschen, vermutlich Ligeti inspirierten Klänge als ganz natürlich, ja zwingende Konsequenz. Auch der Weg „zurück“ zu Johann Sebastian Bachs extrem chromatischer g-Moll-Variation Nr. 25 aus den „Goldberg Variationen“ ist eigentlich kein „Zurück“. Selten war Bach harmonisch progressiver, visionärer. Immerhin geht er von g-Moll zum klanglich extrem kontrastierenden, einer anderen Welt entstammenden es-Moll, und wieder „zurück“ nach g-Moll.

Am Schluss, nach seinem letzten, tiefen, geerdeten Ton, erzwingt Jean Rondeau genau die Stille, die er dem allerersten Ton dieses ungewöhnlichen Abends geschenkt hat. Erst dann bricht sich der Applaus Bahn. Das Publikum hat sich führen, erstaunen lassen. Mit den beiden Zugaben – die Aria, das Thema, aus Bachs „Goldberg Variationen“ und „Les Sauvages“ (Die Wilden) von Rameau – kehrte Jean Rondeau vom Experiment, von der Improvisation zum Vertrauten, zum Notierten zurück. Aber das eine ist ja ohne das andere nicht denkbar. Ein faszinierender, ein anregender Abend, der den Kosmos der (Cembalo) Klänge zelebrierte, der Vertrautes und Neues auf ungewöhnliche Art hochkonzentriert erleben ließ.

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