Der Ring im dritten Jahr in Bayreuth

Die Clankumpels Hagen und Siegfried

Der aktuelle Bayreuther Ring von Valentin Schwarz geht mit Simone Young am Pult in seine dritte Runde

Von Roberto Becker

(Bayreuth, Juli/August 2024) Seit der Uraufführung zur Eröffnung des Festspielhauses 1876 geht jetzt die 15. Inszenierung dieses Ausnahmewerkes in ihr drittes Jahr. Sie löste den spektakulären Geniestreich ab, mit dem Frank Castorf in vier verschiedenen Welten den Verlust der Utopien durchdeklinierte. Also die Welt als Ganzes in den Blick nahm. Dass er selbst davon sprach, der Spur des Erdöls als des Goldes von heute zu folgen, belegt nur, dass sein Werk klüger war als so mancher Kommentar dazu. Das Castorf-Theater vier grundverschiedene Weltgegenden und Epochen.

Valentin Schwarz setzte mit seinem Team (Andrea Cozzi für die Bühne und Andy Besuch für die Kostüme) im Gegensatz dazu auf ein in sich geschlossenes System. Aber nicht auf ein Einheitsbühnenbild oder eine dominierende Großmetaphorik (wie die Koffer bei Stefan Herheim oder Ringscheiben bei Vera Nemirova), sondern auf einen ganz eigenwilligen thematischen Zugang.

Dafür errichtete er für das Ringpersonal eine Haus- und Raumkonstruktion mit konkreter sozialer Verortung und Abstufung des Interieurs. Was zu häufigen Szenenwechseln auf offener Bühne führt und technisch-logistisch fabelhaft gemeistert wird.

Wie schon Castorf ersetzt auch Schwarz die Gold(ring)-Metapher. Bei ihm sind die jeweiligen Nachkommen und deren Erziehung der eigentliche Reichtum. Der kleine Junge mit dem goldgelben T-Shirt etwa, den Alberich den Rheintöchtern, die die Kinder (die kleinen Walküren?) beim Spielen am Pool hüten, aus deren Mitte entführt. Der steckt ihn in eine Kita zu den Mädchen in die Obhut des überforderten Mime. Dieses in einen verglasten Container übersetzte Nibelheim kehrt als Warteraum in einer Schönheitsklinik für die Erwachsenen Walküren wieder. Bandagiert, mit Handy und Einkaufstüten versammeln sich hier die Walküren mit ihren Bodygards (sprich vermenschlichten Rössern).

Gegen den enthemmt aggressiven Klein-Hagen konnten sich die Mädels noch gemeinsam zur Wehr setzen. Gegen den wutentbrannten Clanchef bei seiner Verfolgung der aufmüpfigen Brünnhilde gelingt ihnen das nicht. Goldjunge Hagen wird seinerseits von Wotan entführt und landet schließlich – wie es sich gehört – bei Fafner. Dort wächst er heran, wie Siegfried in der Mime-Behausung. Allerdings bleibt auch dessen „Erziehung“ zum Helden, die eigentlich Enthemmung zum Töten ist, nicht ohne Kollateralschäden. Dem bettlägerigen, aber offensichtlich sehr reichen, todkranken aber immer noch grapschenden Fafner (eindrucksvoll: Tobias Kehrer) haut er den Rollator weg und leistet keine Hilfe bei dessen tödlichem Herzinfarkt. Auch Mime (bis dahin quicklebendig: Ringneuzugang: Ya-Chung Huang) bringt er um und stiftet Hagen sogar an, dem Sterbenden mit dem Sofakissen den Rest zu geben. (Dass sich Hagen an Fafner rächt war und wäre allerdings einsichtiger).

Die Kumpelphase von Siegfried und Hagen dauert bis zum Erweckung Brünnhildes. Da stört Hagen nur und zieht eifersüchtig und frustriert von dannen. In dieser Lesart wird klarer als sonst, warum Hagen zum Mörder an Siegfried wird. Und auch, dass ihn seine Rache-„Mission“ in einem Teil seines Wesens durchaus berührt. In der „Götterdämmerung“ bekommt Hagen dann die dunkel fundierte Stimme von Mika Kares.

Eine besonders eindrucksvolles Spiel mit den Räumen gelingt in der Winterstürme-wichen-dem-Wonnemond-Szene. Wenn da bei den Zwillingen die verschüttete Erinnerung an die gemeinsame Kindheit aufscheint, schweben zwei holzgetäfelte, gut-großbürgerliche Kinderzimmer aus dem Schnürboden ein, verdecken die Tristesse von Hundings Hausmeisterbleibe und entführen in eine andere Welt. Diese Räume sind der aktuelle Wohnort für Siegfried und Brünnhilde, denen wir nach ihrer ersten Begegnung am Ende des „Siegfried“ zum Beginn der „Götterdämmerung“ als Ehepaar mit Kind wieder begegnen. Ihr ist der Frust über die Zurückstufung von der Lieblingstochter des Clanchefs zur Mutter und Hausfrau ebenso anzumerken, wie ihm der Verdruss über den ehelichen Alltag. Das ist ziemlich einleuchtend umgesetzt und gespielt.

Das trifft auch auf die neureichen Gibichungen Gunther und Gutrune zu, die offensichtlich die Räume vom toten Fafner übernommen haben. Sie sind gerade dabei, sich hier schick einzurichten. Hauptsache teuer und im Ring-Design. Ein Stück Stamm- vermutlich Esche, ein Speer, ein Schwert – hier ist zur Deko kondensiert alles da, was vorher bei Schwarz eher am Rande oder garnicht vorkam. Gunther mit einem „Who the fuck is Grane“-Glitzer-T-Shirt findet klischeeschwules Gehabe schick. Gutrune ist aufgedonnert wie für den Laufsteg und schikaniert mit Inbrunst das Hauspersonal. Dass Siegfried wohl auch einen Schaden hat, merkt man daran, dass ihn der Ritualmord an Grane in diesem Hause, völlig kalt lässt.

Das ist in seiner räumlichen und inhaltlichen Verschränkung nicht immer auf den ersten Blick nachzuvollziehen, aber klug gedacht. Außerdem hat Schwarz offensichtlich wirklich nachgearbeitet, das Ende passfähiger zum Anfang gemacht. Die Personenregie ist vor allem dann überzeugend, wenn die Protagonisten sie sozusagen verinnerlicht haben. Exemplarische Beispiele dafür sind der fulminante Wotan Tomasz Konieczny und Catherine Foster, die jetzt durchgängig diese Brünnhilde ist.

Hier wirken die darstellerischen Qualitäten erstklassiger Sänger in Verbindung mit dem faszinierend sicheren musikalischen Fundament für das die ring-erfahrene Dirigentin Simone Young sorgt. Auch sie mit Sinn für einen Bau, der ineinandergreift, bei dem Leitmotive genauso tragende Funktionen haben, wie die pure Prachtentfaltung des Orchesters, die Young bei jeder Gelegenheit auskostet. An dieser Wechselwirkung bzw. Rückwirkung auf die Überzeugungskraft der Szene haben natürlich auch Christa Mayer (als Fricka und mit einem darstellerischen Kabinettstück als Waltraute), Olafur Sigurdarson (als Alberich), Georg Zeppenfeld als Hausmeister Hunding und der ausgesprochen spielfreudige Michael Kupfer-Radecky als Gunther einen entscheidenden Anteil. Alles Künstler, die von Anfang an in dieser Produktion mitwirken und ihre Erfahrungen damit einfließen lassen und ausspielen.

Zusätzlich beeindrucken vor allem die Neulinge Michael Spyres und Vida Miknevičiūtė als überwältigendes Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. Er, ein Tenor, der in Sachen Wagner gleich ganz vorne einsteigt. Zu seinem charismatisch grundierten Timbre passte die lodernden Jungendlichkeit der litauischen Sopranistin hervorragend. Klaus Florian Vogt fügte in diesem Jahr seinen bisherigen Wagnerpartien die beiden Siegfriede hinzu. Bei seinen (in Bayreuth mehrheitlichen) Anhängern löste das Jubel aus. Mit souveräner Technik und Kraft bewältigt er das, aber die Ausnahmestellung, die er vor allem als Lohengrin hat, dürfte er mit Siegfried kaum erreichen.

In Bayreuth sind die Partien durchweg auf Festspielniveau besetzt. Manches bleibt Geschmacksache, aber von einer Krise des Wagnergesangs, ist auch in diesem Festspielsommer nichts zu bemerken. Die Inszenierung von Valentin Schwarz hat damit einen überzeugenden musikalischen Rückenwind. Und wer sich darauf einlässt wird in dieser Inszenierung exemplarisch Menschliches erkennen. Wie hiess es bei Karl Kraus? Das Wort Familienbande hat den Beigeschmack von Wahrheit. In diesem Fall ist der oft bitter.

 

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