Tannhäuser in Bayreuth

Werkstatt mit Methode

Jubel für die derzeit dienstälteste Inszenierung der Festspiele: Tobias Kratzers „Tannhäuser“ ist mitreißend wie am ersten Tag

Von Joachim Lange

(Bayreuth, Juli 2024) Das hat es auf dem Grünen Hügel auch noch nie gegeben: galt früher schon ein Video als Teufelszeug, so wurde am Freitag bei der ersten Tannhäuser-Aufführung mitten in den zur Ouvertüre laufenden Film hinein spontan und zustimmend applaudiert! Es war auf der Fahrt der Künstlertruppe um Venus, Dragqueen Le Gateau Chocolat, Oskar und Heinrich im Clownskostüm, die sie durch die Wälder Thüringens und Frankens von der Wartburg nach Bayreuth bis zum Festspielhaus führt. Da nimmt sich Oskar (Manni Laudenbach) eine Flasche mit Hochprozentigem, schenkt sich einen ein und prostet mit traurigem Blick einem Foto zu. Zu sehen ist der am 19. September 2023 verstorbene Stephen Gould. Er war der erste Tannhäuser dieser seit 2019 laufenden Produktion. Es war diese berührende Referenz an den sympathischen, langjährigen amerikanischen Hügelgast, die viele im Saal für einen Moment die Konventionen vergessen ließ.

Am Ende der längst kultigen Inszenierung tobt das Publikum eine Viertelstunde, ließ raus, was es bei der Eröffnungspremiere gespart hatte. Hügelliebling Klaus Florian Vogt ist als Tannhäuser in Hochform. Er ist, auch wenn’s dramatisch wird, standfest und obendrein ein Muster an Wortverständlichkeit. Vogt ist ganz in der Rolle des zwischen der wandernden Off-Szene und dem Hügelstar zerrissenen Künstlers angekommen. Elisabeth Teige ist wieder eine erst strahlende, dann tieftraurige Elisabeth, die am Ende Wolfram in der Clowns-Maske von Heinrich zu sich in den Wagen zieht, um sich danach umzubringen. Auch Markus Eiche ist in diesem Jahr ein wunderbarer Wolfram in Hochform. Die ganze Truppe mit dem Landgrafen Günther Groissböck an der Spitze macht gute Figur. Irene Roberts ist eine auch mit stimmlicher Vehemenz imponierend deftige Off-Szenen-Venus. Dem Chor ist die neue Struktur (Stammbesatzung plus Zusatzkräfte) nicht anzumerken. Eberhard Friedrich sorgt für den berührend großen Ton. Und Nathalie Stutzmann sorgt im Graben auch in ihrem zweiten Bayreuth-Jahr für einen stets flüssigen, emotional auflodernden, die Sänger tragenden „Tannhäuser“-Klang vom Feinsten. Das wirkt nicht nur souverän, sondern frei und passt gut zu dem draußen am Haus und auf der Bühne von Venus&Co. plakatierten Wagner-Motto „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“.

Tobias Kratzer hat nicht nur eine ins Heute gespiegelte Überschreibung der Tannhäuser-Geschichte mit einem altmodisch inszenierten Sängerwettstreit und diversen Backstageeinblicken inszeniert, bei denen die Festspielchefin selbst die Polizei anrücken lässt, sondern immer auch den Kern der Geschichte im Auge behalten. Das ist frisch wie vor sechs Jahren. Auch, weil er sich mit den Videos von Manuel Braun seinen eigenen Eingang in die Werkstatt Bayreuth offen gehalten hat. Diesmal also mit der Referenz an Gould, der korrekt vervollständigten Dirigentengalerie (inklusive des in russischen Untiefen entschwundenen ersten „Tannhäuser“- Dirigenten dieser Produktion Gergiev) und einem in „Dirigentinnen-Garderobe“ korrigierten Türschild. Was in Bayreuth kein Anbiedern an den Zeitgeist, sondern pure Empirie ist.

Hier dirigieren aktuell drei Frauen sechs Opern und zwei Männer zwei. Und dann gibt’s da noch ein Schmankerl der besonderen Art, das man aus der Tiefe des Zuschauerraums nur erkennt, wenn man ganz scharf hinsieht. An dem Häuschen im Märchenwald, an dem die Reisegesellschaft rastet, wurde -aus aktuellem Anlass- ein kleines Schild angebracht auf dem Hänsel und Gretel vor dem Hexenhaus zu sehen sind. Oben drüber steht „Dr. Claudias Kasperltheater“ und drunter „Hänsel & Gretel“. Darunter ist ein Aufkleber abgebracht: „Bayreuth Festspielhaus“, „vom Donnerstag 25. Juli bis bis Dienstag 27. August“. Mehr muss zu diesem Thema eigentlich nicht gesagt werden.

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